Direkt zum Inhalt

Chronisch krank durch Kilos: Adipositas als stille Pandemie

Fast alle geläufigen Zivilisationskrankheiten stehen in Zusammenhang mit Übergewicht. Sie schränken ein, führen zu einem frühen Tod und ziehen meist noch andere Krankheitsbilder nach sich. Dr. med. Anne-Kathrin Collisi erläutert, was die Wissenschaft dazu weiß und welche entscheidende Rolle die Prävention spielt.

Prävention

Dr. med. Anne-Kathrin Collisi

Leitende Ärztin ias PREVENT Berlin, Mitglied der Geschäftsleitung, Fachärztin für Innere Medizin, Gesundheitsförderung und Prävention (BÄK), Ernährungsmedizin (DGEM), fachgebundene genetische Beratung (BÄK), Hautkrebsscreening

Portrait Dr. Anne-Kathrin Collisi

Die Zahl der Menschen mit Übergewicht nimmt weltweit in besorgniserregender Weise zu. Übergewicht und Adipositas breiten sich aus wie eine globale Pandemie. Während die Unterernährung deutlich zurückgegangen ist, hat sich der Anteil übergewichtiger Personen in den letzten vier Jahrzehnten etwa verdreifacht. Um die Dimension des Problems zu veranschaulichen, lassen sich folgende Zahlen anführen: Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sind etwa 25 Prozent der Weltbevölkerung übergewichtig oder sogar adipös. Bei den Erwachsenen ist die Situation noch dramatischer – fast 40 Prozent von ihnen sind mindestens übergewichtig.
In Industrieländern wie Deutschland ist die Lage noch besorgniserregender. Hier sind rund 67 Prozent der erwachsenen Männer und über 50 Prozent der Frauen übergewichtig. Im Allgemeinen gilt, dass das durchschnittliche Körpergewicht der Deutschen mit zunehmendem Lebensalter steigt. Gleichzeitig verweist das Robert-Koch-Institut anhand der KiGGS-Studie auf einen kontinuierlichen Anstieg des Anteils übergewichtiger Kinder in den letzten Jahren. Die World Obesity Federation prognostiziert, dass bis 2035 rund 54 Prozent der Weltbevölkerung übergewichtig oder adipös sein könnten. Doch ab wann gilt man als übergewichtig oder adipös? Und wo liegt der Unterschied zwischen Übergewicht und Adipositas, im Volksmund auch als Fettleibigkeit bekannt?

Übergewichtig oder adipös? – Warum der BMI nur ein Teil der Wahrheit ist

Der Body-Mass-Index (BMI) ist ein bekanntes Instrument zur Einstufung von Übergewicht und Adipositas – aber er ist nur ein Richtwert unter vielen. Ursprünglich diente er dazu, statistische Aussagen über das durchschnittliche Körpergewicht ganzer Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen. Heute wird er häufig zur individuellen Beurteilung genutzt – doch das greift oft zu kurz.
Der BMI berechnet sich lediglich aus dem Verhältnis von Körpergewicht zu Körpergröße. Ein Wert über 25 gilt als Übergewicht, ab 30 spricht man von Adipositas. Das Problem: Der BMI unterscheidet nicht zwischen Muskelmasse, Fettgewebe und Knochenbau. Dadurch können sportliche oder muskulöse Menschen fälschlicherweise als übergewichtig gelten, obwohl sie gesund sind. Umgekehrt kann bei schlank wirkenden Personen ein hoher Anteil an gesundheitsschädlichem viszeralem Fett bestehen – ohne dass der BMI Alarm schlägt.
Für eine genauere Einschätzung der gesundheitlichen Risiken ist deshalb der Körperfettanteil entscheidend. Insbesondere das  viszerale Fett, das sich im Bauchraum um die Organe ablagert und mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes und anderen chronischen Leiden in Verbindung steht.

Wie Sie Ihren BMI selbst berechnen können, erfahren Sie hier!

BMI und seine Alternativen im Überblick

annpau/Instrumente-zur-Einstufung

BIA-Messung liefert differenziertere Werte

Eine präzisere Methode zur Analyse der Körperzusammensetzung ist die bioelektrische Impedanzanalyse (BIA). Dabei wird gemessen, wie unterschiedlich elektrische Impulse durch Fett, Wasser und Muskelgewebe geleitet werden. 

Gemessen werden dabei unter anderem:

  • Fettfreie Masse (FFM): Muskeln, Wasser, Knochen
  • Körperfettmasse (FM): Gesamtfettanteil
  • Viszerales Fett: Fett um die inneren Organe
  • Wasseranteil: Verteilung von intra- und extrazellulärem Wasser

Im Rahmen unserer Gesundheits-Check-ups lässt sich daraus ein individuelles Profil erstellen, auf dessen Basis konkrete Empfehlungen zu Ernährung, Bewegung und Lebensstil getroffen werden können.
 

CanvaDesign/nensuria

Komplexe Ursachen – die Krux von Adipositas

Viele der Faktoren, die zur Entstehung von Übergewicht führen, liegen außerhalb der persönlichen Kontrolle. Adipositas ist eine multifaktorielle Erkrankung, die aus einem komplexen Zusammenwirken verschiedener Ursachen und Risikofaktoren entsteht. Grundsätzlich kann jede Person übergewichtig werden, wenn auch manche schneller als andere. Es ist wichtig zu betonen, dass die Entstehung von Adipositas in der Regel auf einem wechselseitigen Einfluss dieser Faktoren beruht. Welche Faktoren dafür eine Rolle spielen:

Die häufigsten Begleit- oder Folgekrankheiten von Übergewicht

Zahlreiche Erkrankungen, die zu einem Großteil aller Todesfälle in Deutschland und weltweit führen, werden durch Übergewicht mitbedingt. Dazu zählen insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkte, Bluthochdruck oder Herzinsuffizienz. Auch Arterienverkalkung, Fettleber und Gicht werden durch Übergewicht wahrscheinlicher. Typ-2-Diabetes tritt überdurchschnittlich oft auf und kann zu einem jahrelangen Begleiter werden, da übermäßiges Fettgewebe, insbesondere im Bauchbereich, die Insulinwirkung beeinträchtigt und zu Insulinresistenz führt. 
Auch bestimmte Krebsarten, darunter Brust-, Darm- und Bauchspeicheldrüsenkrebs, entstehen insbesondere bei übergewichtigen Patient:innen durch Mechanismen wie chronische Entzündungen, hormonelle Veränderungen und Stoffwechselveränderungen. Darüber hinaus belastet das erhöhte Körpergewicht die Gelenke und erhöht das Risiko für Arthrose, insbesondere in Knie- und Hüftgelenken.

Neben den körperlichen Folgen leiden übergewichtige Menschen auch häufiger unter psychischen Belastungen wie Depressionen und Angstzuständen. Die Stigmatisierung und soziale Isolation, die oft mit Übergewicht einhergehen, können die psychische Gesundheit zusätzlich beeinträchtigen. Letztlich kann die Lebenserwartung durch Adipositas, insbesondere bei Adipositas Grad 3, reduziert sein. Die gesundheitlichen Folgen der Adipositas sind vielfältig und können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung von Adipositas sind wichtig, um das Risiko für Folgeerkrankungen zu minimieren.

Und jetzt?

Es gibt Möglichkeiten, die Kilos loszuwerden

Moderne therapeutische Ansätze konzentrieren sich auf die Lebensrealität der Betroffenen. Vielversprechende Lösungsansätze wie das multimodale Therapiekonzept kombinieren professionelle Beratung zu Ernährung, Bewegung und Verhalten, abgestimmt auf den persönlichen Alltag. Prävention ist jedoch nicht nur eine individuelle Aufgabe.

Gesellschaftliche Veränderungen und politische Strategien wie Aufklärungskampagnen, gesundheitsfördernde Rahmenbedingungen und transparente Vorgaben in der Lebensmittelindustrie können einen wichtigen Beitrag zu gesundheitsförderlichen Veränderungen leisten. Im Hinblick auf die Ursachenbekämpfung stellen die Bereitstellung von gesunden Ernährungsangeboten, beispielsweise in Kantinen, sowie eine kritische Auseinandersetzung mit Fast Food und zuckerhaltigen Getränken entscheidende Schritte dar, die zu mehr Lebensqualität und zusätzlichen gesunden Lebensjahren führen können.

Nutzen Sie die Gelegenheit, in Ihrem nächsten Check-up mehr über Ihren Gesundheitszustand zu erfahren und gemeinsam mit unseren Ärztinnen und Ärzten die nächsten sinnvollen Schritte zu besprechen.

Diesen Artikel teilen

Das könnte Sie auch interessieren