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Burn-out-Prävention: So verabschieden Sie sich vom Perfektionismus

Nobody is perfect. Trotzdem soll in Job, Familie und Freizeit alles zu 100 Prozent „funktionieren“. Dieser Optimierungsdruck kann nachweislich zu Burn-out oder Depressionen führen.

Psychische Gesundheit

Stress, Alltag, Entspannung, Prävention, Tipps

Unser Drang nach Vollkommenheit macht uns krank. Darauf lässt das Ergebnis einer Metastudie der Universität Bath (GB) schließen. Die Auswertung von 43 repräsentativen Studien zum Thema Burn-out anhand von insgesamt mehr als 12.000 Krankenakten hat gezeigt: Perfektionisten sind wesentlich häufiger von Burn-out und Depressionen betroffen als andere Personen.

Für Janina Klinger ist diese Erkenntnis keine Überraschung. „Wer alles perfekt erledigen will, kann eigentlich nur unzufrieden werden, weil Vollkommenheit unmöglich zu erreichen ist – man findet immer etwas, das man noch besser, schneller, effizienter machen könnte“, sagt die Psychologin der ias Aktiengesellschaft. In ihren Beratungen und Coachings beobachtet sie oft, dass viele Führungskräfte und Mitarbeiter sich mit übersteigertem Ehrgeiz selbst ins Burn-out manövrieren. Prinzipiell ist Perfektionismus nicht immer gleich etwas Schlechtes. Ehrgeiz, Fleiß und Gewissenhaftigkeit sind wichtig, um Dinge voranzubringen. Die Dosis aber macht das Gift. Ein Übermaß, den sogenannten dysfunktionalen Perfektionismus, zeigen Menschen, die „ständig unter Strom und am Rand der Überforderung stehen, sich über ihre Erfolge kaum freuen und auch nur schwer loslassen und entspannen können“, beschreibt Klinger das Problem. "Die anhaltende Anspannung und Unzufriedenheit versetzt Körper und Seele in eine Art Dauerstress, der sich in Nervosität, Kopfschmerzen, Verspannungen, Schlafstörungen oder Bluthochdruck bemerkbar machen kann", so Janina Klinger.

Höher, schneller, weiter?

Kein Mensch ist ohne Fehler, Schwächen gehören zum Leben dazu. Und obwohl sie das theoretisch wissen, jagen Perfektionisten der Illusion von Vollkommenheit hinterher: Die Präsentation muss top vorbereitet, jede E-Mail aus dem übervollen Posteingang am besten sofort beantwortet, der Kindergeburtstag perfekt organisiert, das Mittagessen vegan, der Körper zum Idealgewicht trainiert und die Bluse faltenfrei gebügelt sein. Selbst auferlegter Druck, der auf Dauer erschöpft.

Janina Klinger, Psychologin der ias Aktiengesellschaft

Die anhaltende Anspannung und Unzufriedenheit versetzt Körper und Seele in eine Art Dauerstress, der sich in Nervosität, Kopfschmerzen, Verspannungen, Schlafstörungen oder Bluthochdruck bemerkbar machen kann.

Janina Klinger

Psychologin der ias Aktiengesellschaft

Selbstzweifel, Angst zu versagen und ein großes Bedürfnis nach Anerkennung sind mögliche Ursachen für das Streben nach Perfektion. Die Psychologin verweist aber auch auf einen starken gesellschaftlichen Zusammenhang. In unserer Leistungsgesellschaft, die sich Maximen wie „Gib dein Bestes!“, „Sei stark!“, „Arbeite an dir!“ verschrieben hat, ist Erfolg das Maß aller Dinge. Der Leistungsgedanke begleitet uns oft schon seit der Kindheit als strenge innere Stimme. Der Einzelne steht scheinbar in der Pflicht, aus seinem Leben stets und ständig das Beste zu machen. Werbung, Digitalisierung und soziale Netzwerke wie Facebook beflügeln unser Anspruchsdenken. Für Unvollkommenheit, Schwächen oder gar Scheitern scheint kein Platz mehr zu sein. Für Selbstoptimierung dagegen umso mehr.

Die Fülle der Ratgeberliteratur ist dafür ein Beleg, ebenso die steigende Zahl der Selbstmanagement-Apps: Die mobilen Anwendungen messen längst nicht mehr nur Schrittzahl, Strecken, Kalorien oder Schlafqualität. Es gibt Apps für alle Alltagsbereiche – von der Urlaubsplanung bis hin zum Management von Budget, Zielen, Flüssigkeitszufuhr und Work-Life-Balance. Zuweilen nützlich für die Selbstdisziplin, aber meist gefährlich nahe an den ökonomischen Regeln der Effizienz und Maximierung, lautet Klingers Urteil, zumal man nie wissen könne, in welche Hände all die ermittelten Daten kämen. Sie schlägt damit in die Kerbe von Klaus Werle, Rainer Moritz, Ariadne von Schirach und anderen Autoren, die dafür plädieren, Unzulängliches aushalten zu lernen, spontaner und achtsamer zu leben.

Fehler und Emotionen sind normal

Sollten Unternehmen also übersteigerten Ehrgeiz ihrer Mitarbeiter eindämmen? Ganz so einfach ist es nicht. „Jeder Einzelne ist zunächst einmal selbst für sein Wohl verantwortlich. Das Unternehmen kann ihn oder sie aber sehr wohl dabei unterstützen“, betont Janina Klinger. Ihr geht es nicht um mehr Laisser-faire, sondern um eine offene Kommunikation. „Jeder Mensch ist unterschiedlich belastbar und pflegt seinen individuellen Arbeitsstil – diese Vielfalt muss im Team akzeptiert und wertgeschätzt werden“, erklärt die Psychologin und ermutigt Unternehmen zu einer bewussteren „Fehlerkultur“ – weil wir aus Fehlern mehr lernen als aus Erfolgen.

Gerade Vorgesetzte haben hier eine wichtige Vorbildfunktion: Chefs, die selbst auch mal Schwächen zeigen und an ihre Mitarbeiter realistische Erwartungen stellen, sind ein wichtiger Pfeiler gegen krank machenden Erfolgsdruck. Coachings, Seminare und Beratungen für einzelne Mitarbeiter oder Teams können helfen, perfektionistische Denk- und Handlungsmuster zu reflektieren und durch konstruktive zu ersetzen. Von Erfolg gekrönt sind solche Maßnahmen allerdings nur dann, wenn die Person offen dafür ist – und beispielsweise ein Coaching nicht etwa als „Therapie“ persönlichen Fehlverhaltens falsch versteht. 

So besiegen Sie ungesunden Perfektionismus

Öfter einmal die eigenen Ansprüche herunterzuschrauben und Frieden mit sich selbst zu schließen, verhilft zu mehr Gelassenheit und Lebensfreude.

  • Auf die eigenen Grenzen achten 
    Höchstleistungen abliefern zu wollen, ist per se nichts Schlechtes. Setzen Sie sich aber realistische Erwartungen. Mit 80 Prozent Einsatz erreichen Sie schon oft Ihr Ziel. Erspüren Sie Ihre Ressourcen und sagen Sie ohne schlechtes Gewissen Nein, wenn Ihnen etwas zu viel wird. Ihre Mitmenschen werden Sie deshalb nicht weniger schätzen.
  • Stärken nutzen und dankbar sein 
    Jeder Mensch hat Talente, Stärken und Schwächen. Vergleichen Sie sich nicht mit Ihren Mitmenschen, sondern konzentrieren Sie sich auf das, was Sie besonders gut können und was Ihnen Spaß macht. Rufen Sie sich Ihre positiven Eigenschaften und Ihr Erreichtes in Erinnerung – am besten auf Papier, das Sie dann im Alltag immer mal wieder anschauen können. Seien Sie stolz auf sich und dankbar!
  • Eigenes Verhalten hinterfragen 
    Warum handele ich jetzt so? Welchen Nutzen verspreche ich mir davon? Und was könnte Schlimmes passieren, wenn ich anders als gewohnt agiere? Wer sich diese Fragen zwischendurch immer wieder stellt, erkennt potenziell destruktive Handlungsweisen.
     
  • Schwächen annehmen lernen 
    Akzeptieren Sie sich als Menschen mit Ecken und Kanten. Geben Sie Ihre Fehler und Schwächen zu und nehmen Sie sie mit Geduld, Toleranz und Humor an. Das befreit von chronischen Selbstzweifeln und ebnet den Weg zu Gelassenheit und Freude – und auch zu Spontaneität und Kreativität!

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