TÜV SÜD: Gesundheitsprävention spielerisch neu denken
TÜV SÜD nutzt ein Computerspiel, um seine Mitarbeitenden weltweit für die Krebsprävention zu sensibilisieren. Dafür erhielt das Unternehmen 2022 den HR Excellence Award in der Kategorie Wellbeing. Wie es zur ungewöhnlichen Kampagne kam und wie sie sich umsetzen ließ? Wir haben mit Global Head of Health & Safety der TÜV SÜD AG, Nicole Commeßmann gesprochen.
Praxisreport
Am Anfang stand das Ziel, ein neues Bewusstsein für Krebsprävention zu schaffen. Mithilfe einer Kampagne, die neue und vielleicht auch ungewohnte Wege geht. Die etwas vereint, das auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen scheint: Computerspiele und Krebsprävention.
Ausschlag dafür gab die steigende Anzahl von Krebsneuerkrankungen der Gesellschaft, was auch immer wieder unter den Mitarbeitenden persönliche Betroffenheiten bedeutet. Als Arbeitgeber hat sich TÜV SÜD das Ziel gesetzt, zur allgemeinen Krebsprävention aufzuklären, das Wissen zu vertiefen und die Mitarbeitenden zum Screening anzuregen.
Mit diesem neuen Ansatz der Wissensvermittlung wollten wir einen Gegenpol zu der Schwere des Themas bilden und mit einer gewissen Leichtigkeit dazu anregen, in die Gespräche und in die Vorsorge zu gehen.
Zum Weltkrebstag 2022 Anfang Februar geht das Spiel „Guardians for Life“ für die Mitarbeitenden des internationalen Konzerns in Deutsch, Englisch, Spanisch und Mandarin online. In einer nostalgischen 2-D-Optik hüpfen und laufen die Spielenden im Stile von Super Mario durch drei Level. Präventive Maßnahmen und Risikofaktoren in Bezug auf die drei am weitesten verbreiteten Krebsarten, Darm-, Lungen- und Brustkrebs, sind als Spielelemente verpackt, die es einzusammeln oder zu umgehen gilt.
Spielerisch die Mitarbeitenden erreichen
Das Ergebnis der Kampagne kann sich sehen lassen: In der Altersgruppe der 20- bis 49-Jährigen gibt es eine Steigerung von 21% bei den angeforderten Darmkrebs-Test-Kits. Über alle Altersgruppen hinweg, liegt der Anstieg bei fast 15%. Insgesamt wurden etwa 10% der weltweiten Belegschaft erreicht (Unique Users).
Gamification war ein ganz neues Feld für TÜV SÜD: „Im Gesundheitsbereich ist das Thema insgesamt gerade im Kommen.
Außen Spiel, innen komplexes Projekt
Was leicht und spielerisch daherkommt, ist das Ergebnis eines komplexen internen Projekts, von dem Nicole Commeßmann und Lorena van Kempen, Beraterin für Betriebliches Gesundheitsmanagement bei der ias-Gruppe, erzählen.
„Hinter dem Projekt steckt natürlich wahnsinnig viel Aufwand“, sagt Nicole Commeßmann. „Das Spiel war eine komplette Neuentwicklung, für die wir mit externen Spieleentwicklern und einer Kreativagentur zusammengearbeitet haben. Zusätzlich hat unsere ias-Betriebsärztin, Frau Dr. Beatrice Sichart, die vertiefenden Fachinformationen zur Krebsprävention medizinisch geprüft. Ein Arzt unseres Kooperationspartners International SOS hat die Inhalte schließlich für die globale Nutzung angepasst. Als großes Unternehmen mit mehr als 25.000 Mitarbeitenden an über 1.000 Standorten weltweit gibt es darüber hinaus sehr viele interne Abstimmungsprozesse.“
„Uns sind im Laufe des Projekts auch viele Zweifel begegnet, die sich vor allem darum drehten, ob wir damit mehr Mitarbeitende als bisher erreichen können und ob der Spieleansatz dem Thema angemessen ist“, erzählt Lorena van Kempen, die das Projekt im Auftrag des TÜV SÜD geleitet hat. „Als Grundlage für unsere Entscheidung gab es eine internationale Zielgruppenanalyse, die gezeigt hat, dass der Gamification Ansatz auch bei traditionellen Unternehmen Anklang finden kann.“
Moderne Gesundheitsprävention
„Das Thema Gesundheit hat bei uns einen hohen Stellenwert“, erklärt Nicole Commeßmann. „Unser Unternehmen ist nur so gesund, wie es unsere Mitarbeitende sind. Als reines People Business sind wir auf die Kompetenzen und Leistungsbereitschaft unserer Mitarbeitenden angewiesen. Deswegen wollen wir optimale Bedingungen schaffen, dass alle ihre Fähigkeiten entfalten können.“
Entsprechend modern wird das Thema umgesetzt: Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz, Gesundheitsförderung und Arbeitspsychologie werden von Konzernseite aus unter einer Leitung gesteuert. „Es war mir wichtig, dass die Gesundheitsförderung nicht als eine Art Wellness-Thema in der Organisation hängt, sondern wir diese unter den Schirm mit Arbeitsmedizin und -psychologie packen, damit wir die Schnittstellen sehen und nutzen können“, sagt Nicole Commeßmann.
Das kommt auch intern gut an, wie eine globale Mitarbeitendenbefragung gezeigt hat. Die Mitarbeitenden bewerteten den Stellenwert von Gesundheit und Arbeitssicherheit bei TÜV SÜD als gut bis sehr gut.
„Wir wollen Gesundheitsförderung noch weiter verbessern. Weil Gesundheit und Wohlbefinden im Arbeitsalltag integriert und verankert sind, schauen wir stark auf die Themen Wertschätzung, Feedbackkultur, respektvoller Umgang miteinander, gesunde Selbstführung und gesunde Teamführung“, ergänzt Commeßmann.
Wie sieht die Zukunft aus?
In der Zukunft will TÜV SÜD das Thema Krebsprävention fortführen, natürlich auch mit Unterstützung des beliebten Computerspiels. Was die nächste große Idee ist? Das verrät Nicole Commeßmann noch nicht. Aber für sie liegt die Zukunft ganz klar im Mix aus analogen und digitalen Angeboten. „Auch bei zukünftigen Kampagnen werden wir genau überlegen, welche Kommunikationskanäle wir nutzen“, sagt sie. „Wir müssen viele verschiedene Professionen mit ganz unterschiedlichen Arbeitssituationen erreichen – von Mitarbeitenden an Prüfstellen über Verwaltungsangestellte bis hin zu den Teams im Außendienst. Das ist eine Herausforderung, der wir uns noch stärker stellen werden.“
STOLPERSTEINE: Wo hat es im Projekt gehakt?
„Timing ist das erste, was mir einfällt“, sagt Lorena van Kempen. Denn die Kampagne sollte eigentlich bereits im Frühling 2020 starten, wurde jedoch durch die Corona-Pandemie auf 2022 verschoben. Darüber hinaus war es für die Projektleiterin eine neue Herausforderung, die vielen Beteiligten im Unternehmen und die externen Dienstleister zu koordinieren. Durch die internationale Bereitstellung ergab sich ein hoher Abstimmungsaufwand. „Intern war natürlich auch die Kommunikation umfangreich. Und das gesamte Projekt in einem vernünftigen Kostenrahmen abzubilden. Denn die Frage danach, wie hochwertig das Produkt am Ende sein soll, war nicht leicht zu beantworten“, ergänzt Nicole Commeßmann.
UNTERM STRICH: Was hat das Projekt gebracht?
In Zahlen hat das Projekt die Teilnahme der Mitarbeitenden an der Darmkrebsvorsorge um 15% erhöht, in der Altersgruppe 20-49 Jahre sogar um 20%. Darüber hinaus ist die Kampagne mit dem HR Excellence Award ausgezeichnet worden und hat mehrere Shortlist-Platzierungen erhalten. Doch Nicole Commeßmann und Lorena van Kempen freuen sich auch über die Prozesserfolge: „Das Projekt hat uns auch ein Stück weiter in Richtung Digitalisierung und Weiterdenken der Möglichkeiten gebracht. Und natürlich viele Erkenntnisse zu gutem Projektmanagement und iterativer Projektsteuerung in volatilen Zeiten.“
Dieser Artikel ist in dem ias-Kundenmagazin impulse erschienen, das Sie als ePaper abonnieren können.
Diesen Artikel teilen