Strategien für die digitale Balance
Was macht die Verwendung digitaler Technologien und Medien mit dem Einzelnen? Die kürzlich erschienene Studie „Gesund digital arbeiten?!“ hat es untersucht
Studie
Für das Projekt PräDiTec (Prävention für sicheres und gesundes Arbeiten mit digitalen Technologien) wurden mehr als 5.000 Erwerbstätige zu Auslösern und Folgen von digitalem Stress befragt. Im Gespräch berichten Prof. Henner Gimpel, Leiter der Studie, und Dr. Michael Drees, Facharzt für Arbeitsmedizin, über Inhalte und Ergebnisse der Studie.
Herr Prof. Gimpel, was ist eigentlich digitaler Stress?
GIMPEL: Digitaler Stress ist eine Überforderung, die eintritt, wenn die Anforderungen, die an uns gestellt werden, unsere Fähigkeiten, damit umzugehen, übersteigen. Es ist Stress, der durch digitale Technologien und Medien und unseren Umgang damit ausgelöst wird. Zum Beispiel, wenn digitale Technologien und Medien nicht zuverlässig funktionieren. Das Programm stürzt ab und die bis eben erarbeiteten Unterlagen sind nicht wiederherstellbar. Ein anderes Beispiel verbirgt sich hinter dem Gefühl: „Was habe ich eigentlich den ganzen Tag gemacht?“ Wir nennen es im Rahmen der Studie „mangelndes Erfolgserlebnis“. Es entsteht unter anderem dadurch, dass trotz einer Vielzahl versendeter E-Mails und bearbeiteter Dokumente das Postfach am Tagesende wieder voll ist wie zu Beginn.
DREES: Die Studie zeigt: Mitarbeiter haben das Gefühl, dass der Arbeitgeber mittels digitaler Technologien ihre Arbeit genauer kontrollieren kann. Das löst anscheinend digitalen Stress aus. Die Rolle des Arbeitnehmers ist durch die Digitalisierung unklar geworden. Er hat die Aufgabe, eine konkrete Arbeit zu erledigen, für die er digitale Instrumente verwendet, die aber nicht immer funktionieren. So ist er damit beschäftigt, diese Instrumente richtig einzustellen.
Studie (2019): Gesund digital arbeiten?!
Ist die Digitalisierung also Fluch oder Segen?
GIMPEL: Technologie ist etwas Fantastisches, und sie erleichtert uns das Leben. Wir wollen die Digitalisierung nicht aufhalten, sondern fördern. Dafür sollten wir aber auch ihre Schattenseiten betrachten. Genau das machen wir in der Studie zu digitalem Stress. Digitale Technologien und Medien an sich zu „verteufeln“, liegt uns allerdings fern.
DREES: Die Lösung ist nicht, Geräte auszuschalten und lediglich „Digital Detox“ zu betreiben. Es geht darum, mit den digitalen Technologien schlau umzugehen. Das gilt für die technologische, organisationale und die persönliche Ebene.
GIMPEL: Die Sensibilisierung ist vor allem bei Arbeitgebern und Führungskräften notwendig, die für ihre Beschäftigen „gesunde“ Rahmenbedingungen schaffen sollten. Denn Personen, die starkem digitalem Stress ausgesetzt sind, schätzen sich als kränker ein, sind weniger leistungsfähig, unzufriedener mit ihrer Arbeit und wollen häufiger ihre Arbeitsstelle wechseln.
Herr Dr. Drees, bestätigt das Ihre Erfahrung als Betriebsarzt in der Praxis?
DREES: Absolut. Es ist spannend, wenn wir in den Studienergebnissen unsere
Beobachtungen widergespiegelt sehen. Als Fachleute im Betrieblichen Gesundheitsmanagement erkennen wir, dass digitaler Stress in Unternehmen ein sehr großes Thema ist.
GIMPEL: Auch Beschäftigte haben ihren Anteil, verantwortungsvoll mit digitalen Technologien umzugehen. Sie müssen bereit sein, sich auf die Veränderungen einzulassen, und den konstruktiven Dialog suchen. Viele machen das bereits. Auch die Intensität hat Auswirkungen: Je stärker digitale Medien und Technologien genutzt werden, desto höher sind die Routine und Kompetenz. Dadurch lässt sich wiederum digitaler Stress vermeiden. Daneben ist es wichtig, sich weiterzubilden, sich Unterstützung zu suchen.
Wir können also etwas im Umgang mit digitalem Stress tun?
DREES: Durchaus. Den Kompetenzaufbau kann man angehen und an der Führungs- und Unternehmenskultur arbeiten. Nur ist die Erleichterung der Digitalisierung nicht sofort spürbar. Das Thema Stress aufgrund von Digitalisierung ist relativ neu, aber im Prinzip gilt, was bei jeder Veränderung in der Arbeitswelt zu beobachten ist: Die Mitarbeiter müssen durch die Unternehmen begleitet und unterstützt werden.
Wie sehen die weiteren Schritte im Projekt aus?
GIMPEL: Im zweiten Teil des Projekts befassen wir uns mit der Praxis. Wir brauchen wirksame Maßnahmen und Instrumente, mit denen Unternehmen zukünftig arbeiten können. Diese sollen entweder sicherstellen, dass digitaler Stress gar nicht erst entsteht, oder dazu beitragen, ihn abzubauen.
DREES: Was wir wollen, ist eine nachhaltige, präventive und gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung. Ziel des Projekts ist es für die ias, einen konkreten Mehrwert für Beschäftigte bieten zu können.