Kultur der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz verändern
Psychische Probleme besser thematisieren als schweigen
Mitarbeitendenberatung
Arbeitsverdichtung, private Belastungen oder Sorgen um die Gesundheit - viele Beschäftigte stehen unter psychischem Druck. Wir haben mit Helga Liebl über psychische Belastungen und Probleme von Angestellten gesprochen und wie Führungskräfte darauf reagieren (sollten). Liebl ist als Psychosozialberaterin in Unternehmen tätig und weiß um Akzeptanz, Umgang und teils auch Überforderung von Personalverantwortlichen.
Frau Liebl, wie oft begegnen Ihnen in Ihrer Arbeit als Psychosozialberaterin in Unternehmen Probleme im Umgang mit psychischen Erkrankungen und Belastungen?
Beinahe täglich. Selbst wenn der Anlass, warum jemand sich an die Sozialberatung wendet ein anderer ist, stellt sich oft im Gespräch heraus, dass Depressionen und Ängste unter den angesprochenen Themen begraben liegen.
Was sind die typischen Ängste von Angestellten, die sich öffnen?
Eindeutig die häufigste Angst, die die Menschen treibt, ist es „nicht zu genügen“, den eigenen und den Ansprüchen der Umwelt nicht gerecht zu werden. Das kann sowohl den Arbeitsplatz als auch das Privatleben betreffen, z.B. in der Partnerschaft.
Die häufigsten Schwierigkeiten, auf die ich in der Praxis stoße, sind Burnout, Ängste, Depressionen.
Wo liegen die typischen Schwierigkeiten?
In den meisten Fällen gelingt es den Betroffenen sich innerhalb von 8 – 10 Sitzungen Lösungskompetenzen zu erarbeiten, um den eigenen Energiehaushalt erfolgreich auszubalancieren.
Inwieweit hat sich eine „Kultur der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz“ bereits verändert?
Welchen Beitrag leistet die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen (GB Psych) hierbei?
Die Sozialberater:innen können Betroffene unterstützen, Distanz zum eigenen Problemerleben zu entwickeln, mit ihnen quasi von der Metaebene auf sich selbst zu blicken. In der systemischen Beratung geben wir in aller Regel keine Ratschläge. Meist kreist die ratsuchende Person in einer Art „Problemtrance“ um ihr Problem herum, kommt aber der Lösung nicht näher. Wir stellen gezielte Fragen, um die Klientin bzw. den Klienten in Kontakt zu bringen mit Kompetenzen und Ressourcen, die sie oder er in anderen Zusammenhängen erworben hat – und an die es während der „Problemtrance“ in aller Regel keine Erinnerung gibt. Diese Kompetenzen können dann beim aktuellen Problem ziel dienlich eingesetzt werden.
Was kann die Mitarbeiterberatung bewirken? Welche Erfahrungen haben Sie in Unternehmen gemacht?
Die Beratung dient aber nur der Verhaltensprävention. Das bedeutet, sie hilft, mit dem jeweiligen Problem im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten besser umzugehen. Sei es durch Veränderungen des eigenen Verhaltens, der Erhöhung von Wahrscheinlichkeiten, gewünschtes Verhalten bei anderen zu erzielen oder durch einen anderen Umgang mit Unveränderlichem. Aber sie kann im 1:1-Kontakt meist nichts an Verhältnissen am Arbeitsplatz und im Unternehmen ändern, die ja auch krank machen können.
Hier setzt die GB Psych an, die allerdings oft mit einer reinen Fragebogen-Analyse gleichgesetzt wird. Das Entscheidende sind aber die daraus resultierenden moderierten Workshops, die wir im Rahmen der Sozialberatung bzw. EAP (Employee Assisted Programm) ebenfalls anbieten. In diesen haben die Angestellten einen geschützten Rahmen um gehört zu werden und sich mit Verbesserungsvorschläge einzubringen. Und entscheidend für den Erfolg und die Glaubwürdigkeit ist vor allem, dass das Ganze dann auch zeitnah im Unternehmen umgesetzt wird.
Ich biete meinen Kundenorganisationen daneben auch Workshops an, um z.B. Konflikte in einer Abteilung oder einem Team zu klären. Dabei sollen nicht aufgearbeitete Kränkungen ruhig erst einmal auf den Tisch. Der Schwerpunkt sollte aber eher auf der Zukunft liegen, also auf der Frage „was brauchen wir eigentlich, um gut zusammenzuarbeiten?“ Zu mir als Externe haben die Klient:innen dabei oft mehr Vertrauen, als zu betriebsinternen Fachleuten.
Inwieweit muss sich die Kultur noch verändern?
Häufig sprechen Organisationen von BGM (Betriebliches Gesundheitsmanagement), obwohl das, was dort gelebt wird eigentlich „nur“ BGF (Betriebliche Gesundheitsförderung), also Sportangebote oder Gesundheitstage darstellt, die an der Verhaltensänderung der Beschäftigten ansetzen. Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) ist umfassender und hat sowohl die ganze Organisation im Blick als auch die einzelnen Beschäftigten: Es entwickelt die Organisation als Ganzes und hat das Ziel, notwendige soziale Veränderungen zu erreichen. Gleichzeitig bietet es den Angestellten Gelegenheit, sich aktiv für die eigene Gesundheit zu engagieren.
Nicht immer kommt ein/e Mitarbeiter:in auf eine Führungskraft zu, um von seiner/ihrer psychischen Verfassung zu berichten. Helga Liebl, Sie sind als Psychosozialberaterin in Unternehmen tätig – Wenn ich als Führungskraft das Gefühl habe, dass ein/e Mitarbeiter:in unter psychischen Belastungen leidet – wie spreche ich ihn bzw, sie im besten Fall an?
Je früher Führungskräfte eine Verhaltens- oder Leistungsveränderung thematisieren, umso schneller ist Hilfe möglich, was sich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken kann. Wichtig ist es, solche Gespräche gut vorzubereiten, sich Zeit zu nehmen, Wertschätzung und Anteilnahme zu zeigen, aber auch ganz konkret nachzufragen.
Kontakt
Wir bieten Ihnen gerne Hilfe. Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren.
- anfrage@ias-gruppe.de
- Phone number
ias Aktiengesellschaft:
ias health & safety GmbH:
Wo finden Führungskräfte und Mitarbeiter:innen Hilfe?
Beide können sich in jedem Fall an uns, d.h. an die Sozialberatung der Ge.on GmbH wenden und ggf. auch unsere Netzwerke nutzen. Um die Gesundheit der Beschäftigten langfristig und nachhaltig zu gewährleisten, kann es hilfreich sein ein BEM-Verfahren (Betriebliches Eingliederungsmanagement) einzuleiten. Das muss der Arbeitgeber sowieso anbieten, sobald Beschäftigte für 6 Wochen innerhalb 12 Monaten erkranken. Doch auch, wenn dies nicht der Fall ist, kann das Verfahren von/m Mitarbeiter:in oder der Führungskraft beantragt werden.
In einem Team von Fachkräften wird mit dem/der Mitarbeiter:in unter Einbeziehung der Führungskraft gemeinsam beraten, welche Maßnahmen geeignet sind, um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des/der Beschäftigten am Arbeitsplatz nachhaltig zu verbessern und zu sichern. Führungskräfte stehen dann nicht mehr alleine vor der schwierigen Frage, was sie im Kontext psychischer Erkrankungen im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht beitragen können und müssen.
Im Rahmen von Sozialberatung bzw. EAP berate ich hier Mitarbeitende, Führungskräfte, Personalabteilungen und Betriebsräte, helfe bei der Initiierung geeigneter Prozesse, nehme an BEM-Teams teil und stehe auf Wunsch auch als BEM-Koordinatorin zur Verfügung. Darüber hinaus vermittel ich an Kliniken, Psychotherapeut*innen, sowie Integrationsfachdienste und unterstütze bei Gefährdungsbeurteilungen.
Bewährt hat sich dabei das H-I-L-F-E-Konzept als Handlungsempfehlung für Führungskräfte:
- H - Hinsehen
- I – Initiative ergreifen
- L – Leitungsfunktion wahrnehmen
- F – Führungsverantwortung übernehmen: Fördern und Fordern
- E – Expert*innen hinzuziehen
Warum ist das wichtig, im Unternehmen einen besseren Umgang mit psychischen Erkrankungen zu implementieren?
Meist gehen Angstellte, vor allem aber Führungskräfte davon aus, dass psychisch Erkrankte entweder dauerhaft gestört ist oder wie nach einem Infekt „gesund“ zur Arbeit zurückkommen. Hier klären wir auf, dass es eher darum geht, alte Muster zu durchbrechen und neue Lösungsstrategien zu erarbeiten. In einer Klinik kann das erst einmal nur in der Theorie erfolgen. Am Arbeitsplatz geht es dann darum, das Gelernte erfolgreich in die Praxis umzusetzen. Dabei stehe ich allen Beteiligten unterstützend zur Seite.
Lesen Sie mehr im Interview mit Helga Liebl im F.A.Z.-Personaljournal
Begriffserklärung
Mitarbeiterberatung/EAP und Betriebliche Sozialberatung: Die Betriebliche Sozialberatung ist eine Art „internes EAP“ von Betrieben. Bei einem EAP (Employee Assistance Program) - internationales Wording für Mitarbeiterberatung, sind zumeist externe Maßnahmen gemeint.
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