Direkt zum Inhalt

Eule oder Lerche? Wie unser Organismus tickt

Die innere Uhr hat nicht nur Einfluss auf unseren Schlaf-Wach-Rhythmus bei Frühaufstehern und Nachtschwärmern. Sie spielt auch eine Rolle bei der Einnahme und Wirkung von Medikamenten und beeinflusst unser Schmerzempfinden und auch unsere Leistungsfähigkeit. Corinna Schewior ist Fachärztin für Innere Medizin bei der ias PREVENT in München und erklärt, was es mit der Chronobiologie auf sich hat und wie wir sie uns zunutze machen können.

Expert:innen-Beitrag

Illustration einer inneren Uhr mit Tag und Nacht

Was ist Chronobiologie

Sämtliche Prozesse unseres Körpers werden von Rhythmen in unterschiedlichster Taktung bestimmt. Der Wissenschaftszweig Chronobiologie beschreibt dabei den Einfluss der Zeit und der dadurch bestimmten Rhythmen auf unser Leben, insbesondere auf unsere Gesundheit. Betrachtet werden äußere Zeitgeber, wie Tages- und Jahreszeiten, Licht und Dunkel. Daneben gibt es die inneren Taktgeber, wie z. B.  Hormonausschüttungen, welche jeweils einen großen Einfluss auf die harmonische Übereinstimmung rhythmischer Prozesse in unserem Körper haben. Kommt es zu Störungen dieser Rhythmen, kann es zu einer Chronodisruption kommen, mit schwerwiegenden Konsequenzen für unsere Gesundheit.

 

Innere Uhren, Hormone und äußere Einflüsse

Corinna Schewior

Fachärztin für Innere Medizin, Präventivmedizin (DAPM), Ernährungsmedizin (DAEM/DGEM), fachgebundene genetische Beratung bei der ias PREVENT München

Portrait Dr. Corinna Schewior, Fachärztin, ias PREVENT München

Als zentrale Uhr, die "Master clock", wirkt in unserem Körper ein Gehirnareal im Hypothalamus: der Nucleus suprachiasmaticus, kurz SCN. Er gibt einen zirkadianen Rhythmus vor und veranlasst, dass alle Prozesse zu verschiedenen Zeitpunkten binnen eines 24-Stunden-Zeitraums optimiert werden. Zirkadian kommt vom lateinischen "circa diem" und bedeutet sinngemäß "um den Tag herum". Diese Prozesse haben jeweils ihre eigenen untergeordneten Uhren, die „Slave clocks“, aus denen sich ein sehr komplexes Zusammenspiel mit wechselseitiger Beeinflussung ergibt. "Slave clocks" können sich z. B. merken, zu welchem Zeitpunkt wir etwas gegessen haben und es am nächsten Tag zur gleichen Zeit wieder einfordern, auch wenn es ungesund sein sollte.

Eine wichtige Rolle spielen dabei die Hormone:

  • Melatonin: Das „Schlafhormon“, zuständig für Regeneration und Reparatur. Es wird nachts, also bei Dunkelheit, ausgeschüttet.
  • Cortisol: Das „Aktivitäts- bzw. Stresshormon“. Es ist morgens sowie bei akutem Stress auf Höchstlevel
  • Insulin: Zur Kohlenhydratverwertung. Es wird dreimal täglich zyklisch ausgeschüttet, morgens, mittags und abends sowie bei der Nahrungsaufnahme.
  • Ghrelin: Das „Hungergefühl-Hormon“. Alle sechs Stunden wird es tagsüber ausgeschüttet. Proteinreiche Nahrung sorgt dafür, dass es schneller abgesenkt wird und wir weniger Hunger empfinden.
  • Leptin: Das „Sättigungsgefühl-Hormon“. Es wird zyklisch zwischen Mitternacht und dem frühen Morgen ausgeschüttet sowie durch die Magenfüllung beim Essen.

Auch die Temperatur hat einen großen Einfluss auf unsere inneren Uhren, vor allem hinsichtlich der natürlichen Tag-Nacht-Rhythmen. Sie spielt bei zahlreichen biochemischen Prozessen in unseren Geweben und Zellen eine wichtige Rolle und verändert sich im Laufe des Tages. Zur Nacht hin fällt sie ab, während der REM-Phase ist sie meist am niedrigsten, und steigt dann wieder, bevor wir aufwachen. 

Körpertemperatur, Blutdruck, Puls und Stoffwechsel folgen also bestimmten Rhythmen, die auf unsere körperliche und mentale Leistungsfähigkeit starken Einfluss haben. Aussagekräftige Messungen dazu können u.a. über die Herzfrequenzvariabilität (z.B. im Rahmen der Leistung "Stressmanagement") erfolgen und entsprechend beurteilt und behandelt werden.

Chronotypen & Schlaf

Ca. 15 % der Bevölkerung sind "Lerchen", also Morgenmenschen. Etwa. 60 % sind Mischtypen und 25 % sind "Eulen", sprich Nachtmenschen. Der Chronotyp hat genetische, also erbliche Komponenten und ändert sich zudem im Laufe des Lebens.

Eine Uhr und ein Gehirn versinnbildlichen die innere Uhr, für Schlaf-Wach-Rhythmus AdobeStock/Vetre
  • Neugeborene und Säuglinge haben einen fragmentierten Schlaf mit mehreren Schlafphasen, auch während des Tages. Sie schlafen bis zu 15 Stunden pro Tag.
  • Kleinkinder beginnen eine eigene Rhythmik zu entwickeln. Sie schlafen insgesamt bis zu 12 Stunden pro Tag. Bis zur Schulzeit ist ein Mittagsschlaf optimal.
  • Schulkinder (6 -13 Jahre) haben eine präferierte nächtliche Schlafphase zwischen 21:00 und 7:00 Uhr. Sie schlafen also etwa 10 Stunden pro Tag.
  • Teenager (14 -18 Jahre) haben ihre Schlafphase zwischen 1:00 Uhr und 10:00 Uhr und brauchen ca. 9 Stunden Schlaf pro Tag,
  • Erwachsene (19 - 64 Jahre) schlafen zwischen 24:00 und 7:00 Uhr mit einem Schlafbedarf von ca. 7 Stunden. Erwachsene über dem 55. Lebensjahr schlafen am liebsten zwischen 23:00 und 5:00 Uhr und kommen mit 6 Stunden Schlaf aus.

Schlafpräferenzen und -Stunden variieren je nach Individuum. Dabei kennt man außerdem geschlechtsspezifische Unterschiede. Frauen neigen mehr zum Morgentyp, Männer zum Spättyp. 

Corinna Schewior

Im Takt der inneren Uhren - Tipps für den Alltag

Ernährung

Essen Sie regelmäßige Mahlzeiten. Vermeiden Sie Snacks zwischen den Hauptmahlzeiten. Das Frühstück: sollte reichhaltig und kohlenhydratreich sein. Bevorzugen Sie Vollkorn-Produkte. Essen Sie eine vollwertige Mittagsmahlzeit. Am Abend wählen Sie eine kohlenhydratarme und proteinreiche Speise. Essen Sie nicht zu spät, da ab etwa 22:00 Uhr der Stoffwechsel gedrosselt wird und Regenerations- und Reparaturprozesse beginnen. Halten Sie Pausen von jeweils ca. 5 Stunden zwischen den Mahlzeiten ein. Also z. B. 7:00 Uhr, 12:00 Uhr und 17:00 Uhr. Ihren inneren Uhren zu liebe, verzichten Sie ab dem späten Nachmittag auf Kaffee und schwarzen Tee. Auch Schokolade am Abend sollten Sie meiden, ebenso wie Nikotin. 

Leistungsfähigkeit, Schmerzempfinden, Medikamente

Am Morgen ab 07:00 Uhr sinkt der Melatoninspiegel, die Cortisol- und Sexualhormonproduktion steigt. Die geistige Leistungsfähigkeit ist zwischen 8:00 und 12:00 Uhr auf dem Höchststand sowie noch einmal zwischen 15:00 und 17:00 Uhr. Aber auch die Schmerzempfindlichkeit ist am frühen Morgen am höchsten, weshalb Zahnarzttermine besser auf Nachmittagsstunden verlegt werden sollten. Der Nachmittag ist eine gute Zeit für komplexes Denken, um Zusammenhänge erfassen oder auch zum Meditieren.

Intensiver Sport ist am besten im Zeitfenster von 14:00 und 16:00 Uhr, denn hier ist die Körpertemperatur am höchsten und die Muskeln wärmer und beweglicher. In Abhängigkeit vom Chronotypen, Lebensalter und Alltagsgewohnheiten, kann Sport auch in den Morgenstunden von 7:00 bis 9:00 Uhr wohltun. Eine fordernde Sporteinheit vor dem Schlafengehen ist nicht ratsam. 

Ab 20:00 Uhr beginnt etwa die Ruhezeit, das Langzeitgedächtnis ist jetzt produktiv. Da auch die Hautregeneration vor allem während der Nacht stattfindet, sind Pflege, Reinigung und Verwendung von Pflegeprodukten abends am sinnvollsten. Ein Bad, Sauna und Massage entspannen am Abend. Das Schlafzimmer sollte ruhig, dunkel und kühl um die18 Grad sein. Elektromagnetische Felder und blaues Licht z.B. von Displays im Schlafbereich sollten gemieden werden. Schaffen Sie Routinen, um pünktlich ins Bett zu gehen und ausreichend Zeit für den Schlaf zu finden. Ab 23:00 Uhr ist die Melatonin-Produktion auf Hochtouren, wenn Dunkelheit herrscht. Experten raten, sich die ganze Woche über, also auch an den freien Tagen am Wochenende, in einem möglichst gleichförmigen Zeitrhythmus zu halten und dabei möglichst viel natürliches Tageslicht zu genießen. Abweichungen stören empfindlich den Organismus, was wir als Folgen eines Jetlags oder auch der Zeitumstellung kennen. 

Medikamente in Form von grünen Kapseln und blauen Pillen AdobeStock/Grycaj

Auch eine zeitlich koordinierte Einnahme von Medikamenten - immer in Absprache mit dem Arzt bzw. der Ärztin - kann sinnvoll sein. Aspirin und Ibuprofen eher tagsüber verwenden, hingegen Paracetamol eher am Abend, da es die Bildung des "Schlafhormons" Melatonin nicht hemmt. Blutdruckmittel wie Betablocker blockieren ebenfalls die Melatonin-Produktion, weshalb eine morgendliche Einnahme günstiger sein kann. Bei der Hormonersatz-Therapie ist zu beachten, dass morgens die höchsten Spiegel von Cortisol, DHEA, Schilddrüsenhormonen, Serotonin, Östrogen, Testosteron, aber auch Progesteron vorliegen und nächtlich Melatonin und das Wachstumshormon ihre jeweiligen Spitzenwerte erreichen.

Auch bei Nahrungsergänzungsmitteln ist auf die zeitlich optimale Zufuhr zu achten. Morgens: Fettlösliche Vitamine A, D, K, E; auch Vitamin C, Selen, Jod, Chrom, Kalzium. Nachmittags: Eisen (Abstand zu den Mahlzeiten). Abends: B-Vitamine, Zink, Magnesium, Kalium. Omega-3-Fettsäuren immer zu den Mahlzeiten einnehmen, z. B. Algenöl im Salat oder Quark mit Leinöl.

Diesen Artikel teilen

Lesen Sie mehr zu diesem Thema